Archiv für Autobahn- und Straßengeschichte

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1000 km Reichsautobahnen

"Die vorgesehene Jahresleistung beträgt bis zu 1000 km fertiger Strecken." Diesen Satz enthält der von Eduard Schönleben verfasste Aufsatz "Das Netz der Reichsautobahnen" in der Zeitschrift DIE STRASSE"1 . Die Zeitschrift war das amtliche Blatt des Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen Dr.-Ing. Fritz Todt. Schönleben belegt mit dieser Zahl das Tempo zur Realisierung des am 18. Februar 1933 von Reichskanzler Hitler verkündete Vorhabens der "Inangriffnahme und Durchführung eines großzügigen Straßenbaunetzes".

Im September 1936 war es soweit: Der tausendste Kilometer Reichsautobahnen war fertig gestellt und sollte mit einer besonderen Zeremonie dem Verkehr übergebener werden. Waren bis dahin jeder Erste Spatenstich an einer Teilstrecke und jede Verkehrsfreigabe eines dieser Teilstücke ein mediales Ereignis im Rahmen der mit der "Arbeitsschlacht" unlöslich verbundenen Propaganda, so kam der Übergabe des 1000sten Kilometers erst recht eine überragende ideologische und damit propagandistische Bedeutung zu.

Die Übergabe dieses 1000sten Kilometers erfoderte eine Veranstaltung, die sich ihrer Größe nach von denen der Spatenstiche und Freigaben von Streckenabschnitten abzuheben hatte. Veranstaltungen, insbesondere wenn sie eine bestimmten Ideologie zu forcieren haben, müssen hinsichtlich der Organisation und des Eindrucks, den sie bei den Adressaten dieser Ideologie hinterlassen sollen, einem ausgeklügelten Ablauf folgen. Und hinsichtlich solcher Abläufe waren die im Deutschen Reich herrschenden Nationalsozialisten Meister.

Wie bereits zum Auftakt der am 21. März 1934 gestarteten "Arbeitsschlacht" praktiziert, als an vielen Stellen des künftigen Reichsautobahnnetzes "Erste Spatenstiche" stattfanden, wurde auch der 1000ste Kilometer begangen: Es gab eine zentrale große Veranstaltung an der Strecke 62 bei Breslau mit dem Auftritt des "Führers", des "Bauherrn" als wichtigster Person und an mehreren, über das Deutsche Reich verteilten Strecken, weitere Feiern mit selber Bedeutung.

Im Folgenden werden ausgewählte Artefakte gezeigt und kurz beschrieben, welche den Leserinnen und Lesern die Vorbereitungen der Feier zur Übergabe des 1000sten Kilometers Reichsautobahnen und ihre Durchführung vor Augen führen. Quelle dieser Artefakte ist das Bundesarchiv in Berlin, Bestand R/4601/995.

Einladung Am 19. September 1936 ging nebenstehendes Schreiben an die offensichtlich wichtigsten potentiellen Teilnehmer der Reichsveranstaltung. Der Kreis der Adressaten ist nicht überliefert, doch ist anzunehmen, dass Einladungen an die Obersten Bauleitungen der Reichsautobahnen (OBR), an hohe Leitungsebenen der NSDAP und ihrer Gliederungen, sowie an staatliche Strukturen in Schlesien gingen.

Heft 20 der Zeitschrift DIE STRASSE2 enthält einen Bildbericht "Vom Tag der ersten 1000 Kilometer Reichsautobahn", der die offensichtlich wichtigsten Teilnehmer der Veranstaltung bei Breslau, aber auch jubelnde Arbeiterkolonnen und Schaulustige zeigt.

Der Ablauf der Breslauer Veranstaltung war minutiös geplant und nichts wurde dem Zufall überlassen. Dafür hatte das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda durch sein Referat Großkundgebungen ein streng vertrauliches und nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes "Minutenprogramm zur feierlichen Eröffnung der Autobahnstrecke Breslau - Kreibau aus Anlass der Fertigstellung von 1000 km Reichsautobahnen" erarbeitet.

Bereits um 7 Uhr 45 erfolgte in Breslau die Abfahrt von 2000 Arbeitern vom Sammelplatz am Freiburger Bahnhof zum Gelände der Veranstaltung. Dafür waren 80 Lastkraftwagen der Reichsbahn bestimmt, die eine genau vorgegebene Streckenführung abzufahren hatten. Den Arbeitern war ein bestimmter Platz zugewiesen, der um 9 Uhr einzunehmen war. Gleichfalls nahmen die Delegationen der Obersten Bauleitungen zu dieser Zeit ihren Platz auf dem grünen Mittelstreifen ein. Bereits vorher, um 8 Uhr 30 hatten die Salutbatterien und die Ehrenformationen mit den Standarten Aufstellung zu beiden Seiten der Rednertribüne genommen.

Hitler selbst war mit dem Zug angereist und wurde am Hauptbahnhof sowie im Breslauer Rathaus mit Pomp und Ehren emfangen, bevor er per Auto zur Anschlussstelle "unmittelbar beim Kilometerstein 1,1" fuhr, wo auf dem grünen Mittelstreifen ein Rednerpodium aufgebaut worden war. Genannte "Anschlussstelle" war die Kreuzung des nach Norden an das Stadtgebiet herangeführten Reichsautobahnbogens mit der Reichsstraße 6, heute die Kreuzung der endenden Fernstraße 5/beginnenden Fernstraße 35 mit der Autobahn A4. Den "Rahmen" für die Eröffnungszeremonie hatten wie bei gleichen oder ähnlichen Veranstaltungen jubelnde Menschenmassen zu bilden. Im Minutenprogramm heißt es dazu: "Nördlich der Autobahn haben 2000 Ehrengäste auf einer Stehtribüne Platz genommen. Südlich der Autobahn auf der Böschung stehen 1500 Arbeiter im Block angetreten. Der übrige Raum südlich der Autobahn ist von Volksgenossen gefüllt."

Feierstunde 1   Feierstunde 2 Links: Reichsstatthalter Gauleiter Sprenger bei der Eröffnung der Strecke Frankfurt am Main - Nauheim.
Rechts: Arbeiter der Reichsautobahn durchfahren die neueröffnete Strecke Joachimsthal - Colbitzow bei Stettin.
Quelle: DIE STRASSE Jg. 3 (1936) H. 20, S. 643

Auf den im Reich verteilten weiteren 1000-Kilometer-Feiern hielten die örtlichen Gauleiter und "Vertreter der Gesellschaft" Reden, bis in Breslau alles zum Höhepunkt bereit war und die deutschen Radiosender mit der Übertragung der Zeremonie beginnen konnten: Ein SA-Musik-Zug spielte den Badenweiler Marsch, der Gauleiter von Schlesien, der Direktor der Reichsautobahnen und ein Gefolgsmann hielten eine Rede, der Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen Todt meldete dem "Bauherrn" die Erfüllung des gesteckten Bauziels. Bevor der "Führer" seinen Wagen bestieg, um das beim Kilometer 1,2 errichtete "Ehrentor" mit dem bei solchen Anlässen obligatorischen weißen Band zu durchfahren und damit die Strecke in Richtung Liegnitz freizugeben, hielt er noch eine Ansprache an die Versammelten, das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied erklangen und die Abordnungen der OBR wurden begrüßt. Hinter dem Führer-Pkw reihten sich die anderen für den Korso vorgesehenen Kraftfahrzeuge ein.

Der weitere Ablauf entsprach dem Titel der Organisationsanweisung als "Minutenprogramm". Wer, wann, mit welcher Geschwindigkeit, mit welchem Abstand zu anderen Fahrzeugen innerhalb der Kolonne, wohin zu fahren oder zu warten hatte ― es war drehbuchmäßig inszeniert. Am Ende der Veranstaltung, um 14 Uhr, bestieg Hitler den auf dem Bahnhof Kaiserswaldau (heute Okmiany) wartenden Sonderzug.

Plakette 1000 km
 
Plakette und Postkarte: Archiv AfASG
Anlässlich des 1000sten Kilometers war eine Plakette gestaltet worden, die an Mitarbeitende verliehen wurde, die sich beim Bau der Reichsautobahnen durch besonderen Leistungen ausgezeichnet hatten.
 Spatenstich
Die Aufnahme des sandschaufelnden "Führers" beim Ersten Spatenstich am 23. September 1933 war in Zeitschriften, Büchern und Karten lange Zeit ein Motiv und wurde, wie auf der abgebildeten, am 1. Januar 1937 versandten Postkarte gezeigt, gern im Zusammenhang mit Teilen der in Betrieb befindlichen Reichsautobahn verwendet.

Wenige Tage nach dem Ereignis erfolgte eine kritische Nachbetrachtung durch einen militärischen Beauftragten. Der Ablauf habe im Wesentlichen wie geplant funktioniert, doch die Vorbeifahrt der Lkw mit den Autobahnarbeitern und der Pkw mit den Ehrengästen am Fahrzeug des Führers an der Anschlussstelle Kostenblut habe gewisse Mängel gezeigt. Die restliche Strecke von Kostenblut bis Kreibau hätte die Führerkolonne mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h zurückgelegt, so dass die Lkw mit den Arbeitern, die höchstens 50 - 60 km/h zu leisten vermochten, abgehängt wurden. Dadurch sei die vorgegebene Kolonnen-Reihenfolge erheblich in Unordnung geraten, der Führer habe an der Anschlussstelle Liegnitz auf die Vorbeifahrt der nachfolgenden Fahrzeuge warten müssen. Man habe auf das Geschwindigkeitsproblem der Lkw schon bei der Erörterung des Ablaufs hingewiesen.

1 DIE STRASSE Jg. 3 (1936) H. 19, S. 615
2 DIE STRASSE Jg. 3 (1936) H. 20, S. 642-643
© Recherche, Gestaltung, und Text: Redaktionen Naumburg (Saale) und Köln, Juni 2023